Nimm Platz!

… doch mach es dir nicht zu bequem. Design Thinking sorgt derzeit für das innovative Momentum. NLP kann dabei helfen.

Richard Bandler und John Grinder begannen in den frühen 70er-Jahren in Santa Cruz, Kalifornien, die Fähigkeiten von Fritz Perls, Milton H. Erickson und Virginia Satir zu modellieren. Zur gleichen Zeit schraubten Steve Wozniak und Steve Jobs gewissermaßen um die Ecke, in Los Altos, in einer Garage am Modell des ersten Personal Computers. Beide Ansätze – NLP und das, was wir heute Design Thinking nennen – entstanden durch Modellieren. Die einen zogen aus, sich die Strategien und Fähigkeiten von Menschen zu erschließen. Die anderen, um Lösungen für tiefliegende, unerfüllte Bedürfnisse des Menschen zu schaffen.

Beide Ansätze gingen um die Welt und etablierten sich dank ihrer offenen Systeme in unterschiedlichen Anwendungs- und Forschungsfeldern: NLP als wirksames Konzept für persönliche Kommunikation und Veränderung im privaten Bereich und im Business. Design Thinking als effektive Denk- und Arbeitsweise im Innovationsprozess sowie bei der Bewältigung sozialer wie struktureller Herausforderungen. Hier meine Gedanken und Erfahrungen zu beiden Ansätzen.

Inspiration auf dem Weg durch den Schlamm

„Wir begeben uns in die Situation des Nutzers, um seine Probleme und Bedürfnisse besser zu verstehen“, sagt Philipp Schaefer, damaliger Geschäftsführer der Münchner Zweigstelle von IDEO, die ich im Frühjahr 2010 besuche. „Dafür schnallen wir uns auch schon mal einen dicken Bauch um. So versetzen wir uns in die schwangere Frau hinein, die sich mit ihrer Körperlast zwischen den Betten einer Krankenstation entlang bewegt.“

IDEO hat Design Thinking praktisch erfunden. Die kalifornische Design- und Innovationsberatung mit Hauptsitz in Palo Alto betreibt heute elf Studios in den USA, in Europa und Asien. Seine Designer verantworten Produkte wie die erste Apple Maus und den preisgekrönten intelligenten Zähler des Stromanbieters Yello Strom. Sie kümmern sich heute um neue Lösungen für Transportsysteme, Lernumgebungen und Organisationen bis hin zu Geschäftsmodellen und sozialen Hilfsprojekten.

Wir laufen durch große, offene Arbeitsräume mit Computerplätzen und Werkbänken. Industriedesigner, Ethnologen, Marketingleute und Softwareingenieure arbeiten hier. Design Thinking Teams sind interdisziplinär. An den Wänden lehnen großflächige Tafeln, über und über mit bunten Post-Its, Fotos und Informationsgrafiken bedeckt. Dort sammeln die Teams aktuelle Arbeitsstände. „Visualisierung im Raum hilft dabei, die Daten zu verstehen“, erläutert Philipp Schaefer. Regale mit bunten Schachteln, Dosen, seltsamen Objekten, Spielzeug säumen unseren Weg. Sie dienen zur Inspiration im Prototyping und dazu, Kunden ins Boot zu holen.

Das Kernprinzip: Empathie für den Nutzer

Ein Unternehmen für Reinigungsmaschinen z.B. wollte das Design seines Industriestaubsaugers überarbeiten. Vor dem ersten Meeting kippten die Gestalter eine Ladung Schlamm in ihr Foyer und drückten den Kunden das aktuelle Modell des Industriesaugers in die Hand. So bahnten sich die Kunden ihren Weg durch den Schmutz und erlebten selbst die Vor- und Nachteile ihres Saugers.

Damit erfuhren sie das Kern-Prinzip von Design Thinking: sich mit Empathie in den Nutzer hineinzuversetzen. Und über dessen Bedürfnisse ihren Weg zu Lösungsprototypen zu finden, die wiederum durch den Nutzer getestet werden. Der Prozess wiederholt sich in mehreren Schleifen so oft, bis der Prototyp den Bedürfnissen des Nutzers entspricht. Erst dann geht er in Produktion.

Aus den kalifornischen Studios wanderte Design Thinking zu Beginn des neuen Millenniums in die Top Level Etagen des internationalen Business. In Kombination mit den Ideen des Lean Startup und agilem Projektmanagement revolutioniert es seit einigen Jahren die Arbeitswelt. Firmen wie SAP, IBM, IKEA und Procter & Gamble nutzen Design Thinking für innovative Entwicklungen. Der Klötzchenhersteller LEGO hat sich durch intensives „Zusammenspiel“ mit seinen Fans vom Rande der Pleite zu einer der kreativsten und erfolgreichsten Marken der Welt hochgebastelt.

Für das innovative Momentum führen Designteams Gespräche mit den Kunden und beobachten Nutzer in ihrem Umfeld. Eine ältere Dame wurde einmal von einem Designteam zur Nutzung ihrer täglichen Medizin befragt. Nein, sie habe kein Problem mit dem Flaschenverschluss, alles funktioniere bestens. Bei ihrem Besuch der alten Dame zuhause machten die Designer eine kuriose Beobachtung: die Frau sägte die Kappe der Flasche kurzerhand mit ihrer Brotschneidemaschine ab. Auch die Schöpfung von Personas, Customer Journeys und eine Vielzahl weiterer Methoden helfen Designteams, verdeckte Bedürfnisse aufzuspüren. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Es hilft auch die Kenntnis des Metamodells der Sprache.

Im Team wachsen

Forschungen des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam und des Stanford Design Thinking Research Programs zufolge setzen erfolgreiche Innovationsprojekte einen Wandel im gesamten Unternehmen voraus: ein Anders-Denken und Anders-Machen, das mit bekannten Strukturen bricht, Ungewissheit zulässt und neue Perspektiven umsetzt. Im Frühjahr 2016 z.B. stellt sich ein Pharmaunternehmen einem solchen Wandel und lässt sich von der Frage leiten, wie es die Mitarbeiterschaft erreicht, so zusammenzuarbeiten, dass sie die Innovationschancen stärker als bisher wahrnimmt.
Ich durfte als Design Thinking Coach das Unternehmen durch den Prozess mit begleiten. Zunächst ging es darum, das Verständnis für Design Thinking zu schärfen. Flache Hierarchien und Führung ohne Weisungsbefugnis, das Experimentieren und Testen mit Prototypen zur Risikominderung – dies ist für Unternehmen ungewohnt. Mit Experimentierfreude, Neugier und Fehlerfreundlichkeit verbinden viele Dilettantismus und Versagen. Eine gelungene Beratung sollte den Kunden auch darüber informieren, wie man diesen Themen begegnen kann. Begleitendes Coaching ist dabei empfehlenswert.

Eine gelungene Fragestellung für diesen Prozess gibt zwar ein Ziel vor, nimmt das Ergebnis aber nicht vorweg. Sie ist so weit gefasst, dass sie einen Ideenraum öffnet, aber auch nicht zu weit, um nicht im Allgemeinen zu versanden. Eine optimale Formulierung beginnt mit der Frage: „Wie schaffen wir es …?“
Die Personal-Leitung des Pharmaunternehmens findet führende Köpfe für die Bildung von interdisziplinären Teams. Menschen aus allen Abteilungen und Hierarchieebenen kommen hier zum Zuge.
Ein eintägiges Intensivtraining vermittelt zwanzig Auserwählten die wichtigsten Kenntnisse über die Arbeitsweise und den Prozess. Das Training dieser führenden Köpfe funktioniert gleichzeitig als Prototyp. Schon im Training übernehmen diese sogenannten Team-Leads die Federführung für den bevorstehenden Mitarbeitertag, an dem alle hundertsiebzig Beschäftigten zusammenkommen, um die Fragestellungen gemeinsam mit Design Thinking zu bearbeiten.

Position beziehen

Die Tagung findet in einem Parkhotel statt. Auf dem großen Hof installiert die Agentur zwanzig Bereiche aus Metaplanwänden. Dort verteilen sich die Teams nach einer kurzen Einführung im Auditorium. Die Team-Mitglieder interviewen sich gegenseitig zu den Fragestellungen und dokumentieren ihre Erkenntnisse auf den Wänden. Im Design Thinking modellieren die Teams zu ihren Ideen entweder schon früh im Prozess grobe Prototypen für ein konkretes Produkt oder sie bauen etwas, das es ermöglichst, einzelne Aspekte einer Lösung zu testen. Für das aktuelle Kick-off hatten wir nur einen Tag, und in den Vorgesprächen entschied der Kunde, dass die Gruppen ihre Ideen aus dem Brainstorming in selbstgebauten Stühlen umsetzen und dafür alte Stühle bzw. Stuhlgestelle nach ihrem Gusto umbauten.Der Stuhl ist eine Metapher. Er symbolisiert z.B. ein Verhalten, mit dem jemand Position bezieht und sich Klarheit über den Team-Aspekt “mein Platz/dein Platz” verschafft.

Zur tatkräftigen Unterstützung rückt ein Team von Handwerkern an und errichtet eine Werkstatt mit Materialdepot. Mit Stichsäge, Tacker und Bohrer gehen die Mitarbeiter zu Werke. Auch der CEO macht mit. Am Ende des Tages sehen wir Stühle in den verschiedensten Farben, auf Rädern und Kufen (Agilität vs. Bequemlichkeit) und zusätzlichem Interieur wie Regenschirm (gegenseitiger Rückhalt) und Telefon (kurze Leitung zur Chefetage) etc. Dies alles steht für Einsichten und Erkenntnisse zu der Frage, wie die Zusammenarbeit im Sinne des neuen Leitbildes verbessert werden könnte. Funktionsweisen, Metaphern und Symbole stehen für Bedürfnisse und Lösungsideen. Es sind Stühle, auf denen eine aufmerksamere Kommunikation möglich wird. Wenn ich mich auf einem solchen Sitzmöbel niederlasse, werde ich unweigerlich mit anderen Augen auf denjenigen blicken, der mich dazu eingeladen hat. Ein Anfang ist gemacht.

Zum Abschluss präsentiert die gesamte Mannschaft anhand ihrer Stühle ihre Erkenntnisse. Die meisten stehen das erste Mal auf einer Bühne und genießen die Möglichkeit, gesehen und gehört zu werden.

Eine Erkenntnis dieses Mitarbeitertags war, dass die Vertriebsmitarbeiter des Pharmaunternehmens einen besonderen Platz in diesem Design-Thinking-Prozess erhielten. Über die klassische Marktforschung hinaus ermöglicht der direkte Kontakt mit Ärzten und Patienten einen tieferen Zugang zu Nutzerbedürfnissen.

Mit NLP zum Design Thinking

Eine der größten Herausforderungen für Design-Thinking-Teams ist es, die Komplexität der Informationen in der frühen Explorationsphase zu bewältigen. Das Team ist nicht nur gefordert, sich in Nutzer hineinzuversetzen und eine Fülle entsprechender Daten auszuwerten, sondern ist auch mit gewohnten Denkmodellen im eigenen Team konfrontiert.

Hier setze ich mit NLP-Methoden an für Interviewleitfäden und Fragetechniken, konstruktives Feedback und motivierende Reframes. Das braucht Übung. Es geht dabei auch um die Rolle von eigenen Bedürfnissen als Mitarbeiter und von Gefühlen und Emotionen, über die sich die Bedürfnisse zeigen. Manchen fällt es zum Beispiel schwer, ihren Posten des Bedenkenträgers zu verlassen. Andere fliegen vor lauter Kreativität davon. Nach meiner Erfahrung hilft NLP dabei, im kreativen Chaos einen praktikablen Weg zur jeweiligen Lösung zu finden. Und Fehler nicht als Scheitern zu verstehen, sondern als Indikatoren für Lern- und Entwicklungsprozesse.

Elsa Wormeck, Beraterin und Design Thinking Facilitator mit eigener Firma – corecreate | communications – in Berlin. www.corecreate.de

Literaturliste:

Eric Ries, “The Lean Startup: How Today’s Entrepreneurs Use Continuous Innovation to Create Radically Successful Businesses”, Crown Business (2011)

Jan Schmiedgen, Holger Rhinow, Eva Köppen & Christoph Meinel, “Parts Without a Whole? – The Current State of Design Thinking Practice in Organizations”, Hasso Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik at the University of Potsdam (2015)

Michael Lewrick, Patrick Link, Larry Leifer, “Das Design Thinking Playbook: Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren“, Verlag Franz Vahlen (2017)

Tom & David Kelley “Creative Confidence: Unleashing the Creative Potential Within Us All“, Crown Business (2015)

Bill Burnett & David Evans “Designing Your Life: How to Build a Well-Lived, Joyful Life“ Knopf, Random House LLC (2016)